Wer Ehnen in nördlicher Richtung (Richtung Wormeldingen) verlässt, kommt am Wousselt vorbei. Die dem Dorf am nächsten gelegenen Reben wachsen am Fuße des Felsens auf den ältesten Terrassen des Landes. Hauptsächlich Riesling, der sehr von dieser einzigartigen Lage profitiert.
TEXT: Der Wousselt ist ein eher zurückhaltendes Terroir. Um ihn zu lieben, muss man das Glück haben, ihn kennen zu lernen, einen neugierigen Blick auf seine Terrassen geworfen und einen Wein aus seinen Trauben getrunken zu haben. Er versteckt sich jedoch nicht. Der Wousselt ist jener Weinberg entlang der Weinstraße zwischen Ehnen und Wormeldingen. Schon beim Vorbeifahren ist zu erkennen, dass er aus zwei Teilen besteht. Auf der nordöstlichen Seite stehen Reben, die in den frühen 1970er-Jahren einer Flurbereinigung unterzogen wurden. Die Parzellen sind gerade und homogen. Auf der südwestlichen Seite jedoch, unter den modernen Häusern des Wohngebiets Léibësch, sind die Hänge steil (manche mehr als 50 %) und die Terrassen alt. Die Trauben wachsen um ihren Pfahl herum, ohne Drähte und Reberziehung. Das ist der alte Wousselt, ein Terroir mit einer jahrhundertealten Identität, um das sich die Winzer von Ehnen und Wormeldingen streiten. „Offiziell muss es Wormeldingen-Wousselt heißen, aber die Reben wachsen mitten in unserem Dorf“, sagt Luc Kohll (Domaine Kohll-Leuck in Ehnen) mit einem Lächeln. Demnach ein Thema, das unter den Nachbarn wahrscheinlich ziemlich heftig diskutiert wird!
„Da es hier seit langem keine Flurbereinigungen mehr gegeben hat, wachsen die Reben in dem ursprünglichen, sehr organischen Boden“, erklärt Andreas Krebs, Kellermeister der Domaine Häremillen, der neun Parzellen auf dem Wousselt bewirtschaftet. „Und da die Erde Muschelkalk enthält, sind die Weine kraftvoll und mineralisch zugleich.“
Ein Terroir wird nicht nur durch seinen Boden, sondern auch durch das Wetter geprägt. Und beim Wousselt stimmt alles. „Er ist nach Süden/Südosten ausgerichtet, sodass die Sonne hier den ganzen Tag über scheint“, erklärt Luc Kohll. „Es könnte nicht besser sein!“ Die Lage am Talboden ist von Vorteil: „Dank der natürlichen Wärme der Mosel gefriert der Wousselt quasi nie“, sagt Claude Scheuren, Schwager und Geschäftspartner von Luc Kohll. Da er am Fuße eines steilen Hanges in Richtung Südosten liegt, ist er vor kalten Nordwinden geschützt, die sogar Hagel bringen können. „Ich erinnere mich an einen großen Hagelsturm im Jahr 2000, während des EM-Finales zwischen Frankreich und Italien. Einige Parzellen waren zu 80 % betroffen, aber der Wousselt erlitt überhaupt keinen Schaden“, erinnert sich Luc Kohll.
Es handelt sich um die ältesten Terrassen des Landes.
Dass dieser Ort seine alte Identität bewahrt hat, dann deshalb, weil er die Aufmerksamkeit der Winzer geweckt hat, die sich bemühen, ihn zu respektieren und zur Geltung zu bringen. „Es handelt sich um die ältesten Terrassen des Landes“, so Max Mannes, Besitzer der Domaine Häremillen. „Unsere älteste Rebe wurde 1941 hier gepflanzt und die jüngste 1970, aber die Terrassen mit ihren Trockenmauern sind noch älter.“ Die Eigenschaften des Bodens zusammen mit dem Alter der Reben, die Zeit hatten, mit ihren Wurzeln tief in den Muschelkalk einzudringen, sind eine perfekte Kombination für Riesling. Diese Schätze verarbeitet die Domaine Häremillen in ihrem Riesling „Wousselt Vieilles vignes en terrasse“ – ein reiner, geradliniger und sehr eleganter Wein.
Auch bei Kohll-Leuck setzt man mit dem Jahrgang 1947 – ebenfalls ein Riesling – auf dieses für das Großherzogtum außergewöhnliche Alter. „Dieser Weinberg gehörte Nicolas Hein (Anm. der Redaktion: 1889-1969), einem in Ehnen geborenen Schriftsteller, der hier Professor genannt wurde“, erklärt Luc Kohll. „Wir mieten ihn von seinen Erben und er ist einfach toll. Aber es sind Weine, die Zeit brauchen, um sie richtig zu schätzen. Wir haben 2014 mit der Produktion dieses Weins begonnen, und er ist noch zu jung. Meiner Meinung nach hat dieser Wein das Niveau unseres Charta-Rieslings.“
Wir arbeiten dort, weil wir Wertschätzung erfahren, wenn wir ein altes Erbe erhalten.
Die Charta Luxembourg ist eine Initiative unabhängiger Winzer zur Kennzeichnung ihrer besten Weine. Für Luc Kohll ist sein Winzer-Meisterwerk ein 2010er Charta-Riesling von Reben, die 1976 auf dem Wousselt gepflanzt wurden. „Ich habe noch nie einen besseren Wein gemacht“, sagt er beim Öffnen der Flasche mit einem Lächeln. Vor der Lese hatte es viel geregnet und 20 % dieser Trauben waren von Botrytis befallen. Aber dann kam kaltes, trockenes Wetter und die Graufäule verwandelte sich in Edelfäule. Zum Erntezeitpunkt hatte er 98° Oechsle. Zuerst war der Zuckergehalt zu hoch, aber jetzt ist er völlig ausgewogen und ich liebe ihn!“ An seiner goldenen Farbe sieht man, dass es ein edler Wein ist. Seine Nase nach kandierten Früchten und Honig erinnert an Süßigkeiten. Aber am Gaumen ist er viel dynamischer, als die Düfte vermuten ließen. Dieser Wein hat Leidenschaft und beeindruckt durch seinen sehr kräftigen Abgang.
Die Herstellung dieser Weine ausschließlich ihrer selbst wegen bedeutet viel Arbeit, die aus rein buchhalterischer Sicht nicht viel Sinn macht. Da nie flurbereinigt, sind die Parzellen klein und nur schwer zugänglich. „Unten verläuft die Weinstraße und oben ein Weg, d. h., die ganze Arbeit wird von Hand erledigt, eine Maschine kann nicht in den Weinberg fahren“, lacht Max Mannes. Gemäht wird mit einem Freischneider mit Schulterriemen, geschwefelt wird mit Spritzdüsen und während der Weinlese werden die Kisten halt getragen! „Ja, stimmt. Wirklich profitabel ist es nicht, weil der Aufwand für nur etwa zwanzig Hektoliter pro Hektar ziemlich groß ist“, gibt er zu. „Wir arbeiten dort, weil wir Wertschätzung erfahren, wenn wir ein altes Erbe erhalten.“